Ospitale di Cadore - ohne Geschichten keine Gemeinschaft

Auf der Schnellstraße 51 di Alemagna von Valle di Cadore nach Belluno kommt man gleich nach einem Tunnel an der kleinen Gemeinde Ospitale di Cadore vorbei. Bei einem flüchtigen Blick auf das Ausfahrtsschild Ospitale habe ich zuerst vermutet, dass hier eben das Krankenhaus der Region zu finden sei. Wie es der Zufall will, hat mich die Gemeinde von Ospitale diesen Sommer eingeladen, mit ein paar Jugendlichen einen Filmworkshop zu veranstalten und so habe ich spannende Geschichten über den Ort und seine 350 Bewohner und Bewohnerinnen erfahren.

Im ehemaligen Rathaus, in der heute die Dorfbibliothek untergebracht ist, erwarten mich etwa dreizehn Jugendliche zwischen dreizehn und dreiundzwanzig Jahren. Sie möchten mehr über das Filmemachen erfahren und wir gehen alle Einstellungsmöglichkeiten und Perspektiven durch, bevor wir uns dem eigentlichen Geschichtenerzählen zuwenden.
Froschperspektive grüßt Vogelperspektive
Schnell wird den den Jugendlichen klar, an wie vielen Stellschrauben sie drehen können, um ihre Geschichten zu erzählen und es nicht nur darum geht, mit dem Smartphone einige zufällige Aufnahmen zu machen. Vor dem Filmemachen geht es in erster Linie darum, die Sprache des Films und ihre Grammatik zu verstehen.
Die technische und die "poetische" Seite der Filmsprache

Mit dem ersten Handwerkszeug ausgestattet, geht es weiter zum eigentlichen Geschichtenerzählen. Was ist eine Geschichte? Gibt es Geschichten in einem Dorf, das zwar an einer Schnellstraße liegt, aber sonst eher abgeschnitten von der Welt gelegen ist? Was ist der Kern der Geschichte? Warum möchte ich sie erzählen und was erzählt die Geschichte über mich? Wenn man heute nach Ospitale kommt, sieht man wie in so vielen Dörfern kaum Menschen auf der Straße. Besonders für Jugendliche ist es schwer, sich mit so einem Ort zu identifizieren. Es scheint, als ob die wenigen Bewohner ihr Leben nicht miteinander, sondern nebeneinander verbringen.
Wer bewohnt diese malerische Landschaft?

Iolanda Da Deppo, die im Cadore viele Projekte zum Thema Gemeinschaftsentwicklung iniziert hat, möchte mit diesem Projekt den Blick der Jugendlichen wieder auf ihre aktuelle Lebenswelt lenken, sich in den Dialog mit ihren Mitbewohnern zu begeben, zu erzählen, welche Orte für sie wichtig sind. Letztes Jahr haben die Jugendlichen in einem Audioprojekt ein Inventar über die Geräusche erstellt, die in ihrer Lebenswelt vorkommen. Es ging darum herauszufinden, was es bedeutet, mit diesen Geräuschen Tag ein Tag aus zu leben. So gibt es das Plätschern und Rauschen des Piaves, der entlang des Dorfes fließt, die Schnellstraße oder die Eisenbahn. Aber auch das ständige Summen einer Fabrik, in der Biomasse in Strom umgewandelt wird.
Zwischen Summen und Rauschen

Mit diesem Filmprojekt sollen aber vor allem die Geschichten der Bewohner des Ortes gesammelt werden, um sie später für weitere Auseinandersetzungen zum Thema Gemeinwesenentwicklung in einem Museum sichtbar zu machen.
Ospitale - eine Gemeinde und ihre Begegnungen

Früher war Ospitale ein Ort der Gastlichkeit, weil dort die Flöße anhielten, die den Piave runter bis Venedig fuhren. Der Name Ospitale kommt also nicht von ungefähr. Ständig kamen neue Reisende an, um dort eine Nacht auf ihrer anstrengenden Reise zu verbringen. Auf dem Computer des Vizebürgermeisters haben wir während unseres Projektes alte Filmaufnahmen aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts gefunden. Der zweite Weltkrieg war kaum vorbei und das Dorf war voller Menschen. Es ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr, dass sich junge Menschen mit diesen Geschichten auseinandersetzen oder einfach nur ins Gespräch mit den damaligen Zeitzeugen kommen.
Begegnungen

Nach zweit Tagen ist der Workshop vorbei, ich bin jetzt schon gespannt, was die Jugendlichen daraus machen werden. Welche Geschichten sie uns über sich und ihr Dorf erzählen werden. Ich wünschen ihnen auf jeden Fall viel Erfolg und dass das Projekt Schule machen wird, um gegen das Verschwinden der Bewohner einer medial globalisierten Welt vorzugehen.


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